Einige Parvoviren können Krebszellen befallen und vernichten, verursachen aber beim
Menschen keine Krankheitssymptome. Seit 1992 erforschen Wissenschaftler um
Prof. Jean Rommelaere im Deutschen Krebsforschungszentrum diese Viren mit dem
Ziel, sie für die Krebstherapie einzusetzen. Die Forscher wählten dafür Parvoviren
des Stamms H1, die normalerweise Nagetiere befallen, aber auch für menschliche
Zellen infektiös sind. H1-Viren töten Tumorzellen aufgrund natürlicher Eigenschaften
ab, ihr Erbgut muss dafür nicht genetisch verändert werden. Im Universitätsklinikum
Heidelberg wird bereits eine Behandlung von bösartigen Hirntumoren mit H1-Viren
in einer klinischen Phase I/IIa-Studie geprüft.
"Die Viren vernichten ausschließlich Krebszellen. Aber mit der gleichen Effizienz
wie Krebszellen infizieren sie auch gesunde Zellen. Dort richten sie zwar keinen
Schaden an und können sich darin auch nicht vermehren. Aber dadurch verlieren wir
jedes Mal einen großen Teil der therapeutischen Viren", sagt Jean Rommelaere. Als
Lösung für dieses Problem konstruierten die Forscher ein Virus "auf dem Reißbrett":
Sie veränderten das Erbgut des Erregers so, dass das Virus seine Infektionsfähigkeit
verliert. In einem zweiten Schritt wurde das nun nicht mehr infektiöse Virus mit
einem molekularen Schlüssel für Krebszellen ausgestattet.
Anhand eines computerbasierten 3D-Models der Proteinkapsel des H1-Virus konnten
Antonio Marchini und Kollegen aus Jean Rommelaeres Abteilung identifizieren, wie
das Virus mit Zellen in Kontakt tritt: Es dockt an Proteine auf der Zelloberfläche
an, die mit Sialinsäure gekoppelt sind. Die Forscher tauschten daraufhin zwei
Aminosäuren eines Virusproteins aus, die für den Kontakt mit der Sialinsäure
ausschlaggebend sind. Diese geringfügige Veränderung reduzierte die Infektionsfähigkeit
von H1 dramatisch: In Zellen, die mit dem genveränderten Virus behandelt wurden,
fand sich nicht einmal ein Zehntel der Virusmenge, wie sie nach einer Infektion
mit dem unveränderten H1 zu erwarten gewesen wäre.
In einem zweiten Schritt statteten Marchini und Kollegen die nadelartigen
Eiweißstrukturen der Viruskapsel mit drei zusätzlichen Aminosäuren aus.
Das verleiht den Viren die Fähigkeit, an ein so genanntes Integrin anzudocken:
Dieses krebstypische Zellmembran-Protein wird von vielen Tumoren im Übermaß
produziert. Die doppelt veränderten Viren erlangten ihre Infektionsfähigkeit
zurück: Normale Zellen, die kein oder nur wenig Integrin tragen, blieben
verschont. Melanomzellen jedoch, die große Mengen des krebstypischen Integrins
produzieren, ließen sich mit dem doppelt veränderten Parvovirus vergleichbar
effizient infizieren wie mit dem natürlichen H1-Virus.
"Das war ein erster Beweis, dass es grundsätzlich möglich ist, Eigenschaften
von H1 nach Plan zu verändern. Wir werden sicher noch einige Anläufe benötigen,
um die Viren im zweiten Schritt noch spezifischer auf Krebszellen zuzuschneiden.
Außerdem haben wir bereits Ideen, wie wir die Infektionsfähigkeit und das
Potenzial, Krebszellen zu vernichten, weiter verbessern können", sagt
Antonio Marchini.
Literatur:
Xavier Allaume, et al. 2012.
Retargeting of Rat Parvovirus H-1PV to Cancer Cells through Genetic
Engineering of the Viral Capsid. J Virol. April 2012, DOI :10.1128/JVI.06208-11 Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum
August 2012 |
Literaturreferate
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Paclitaxel dosisdicht bei fortgeschrittenem Ovarialkrebs